Leopold Hurt, Komponist und Zitherspieler, hat lediglich Zither 1 verpasst – er war damals noch sehr jung. Er erlebte das Internationale Festival aus verschiedenen Perspektiven, erst als mitarbeitender Student, oft als Interpret und bald auch als Komponist. Oft agierte er wie die meisten anderen aus dem unermüdlichen Organisationsteam sogar parallel, hetzte zwischen Auftritt und anderen Aufgaben hin und her. Das Studium hat er natürlich vor vielen Jahren abgeschlossen, doch als Komponist, Interpret und Mithelfer blieb er dem Festival bis zum Schluss treu. Er erinnert sich:

 

Viele Persönlichkeiten, die heute das Bild der Zither in der Öffentlichkeit prägen, sind in irgendeiner Weise mit dem Münchner Zitherfestival musikalisch „erwachsen“ geworden – und das nicht nur in persönlicher, künstlerischer Hinsicht. Auch ganz allgemein hat sich die öffentliche Wahrnehmung des Instruments über die Jahre hinweg maßgeblich verändert. In vielen Teilen lässt sich dieses Phänomen direkt oder indirekt auf die 1995 von Georg Glasl initiierte Festivalreihe zurückführen, wobei sich ein besonderer Effekt bereits in den Anfängen bemerkbar machte: das Gefühl einer positiven Aufbruchsstimmung, das alle erfasste, die sich an diesem Event in welcher Art auch immer beteiligten.

 

Für mich kam diese Motivation zur rechten Zeit, denn nach und nach begann ich als Jugendlicher zu begreifen, dass das Instrument, das ich von frühester Kindheit an erlernte, im Bewusstsein der musikalischen Öffentlichkeit ein eher randständiges Dasein führt. Die Erkenntnis verfestigte sich, als ich das heimatliche Biotop der städtischen Musikschule, des lokalen Zithervereins und der Kammermusikgruppen am Gymnasium verlassen hatte und zum Studium nach München ging. Am dortigen Konservatorium bekam man schnell die Rolle eines Exoten zugeordnet, beispielsweise wenn sich im Gespräch mit Studienkollegen der anderen Instrumentalklassen herausstellte, dass das Gegenüber keine Ahnung davon hatte, wie eine Zither aussieht.

 

Diesem ärgerlichen Dilemma wusste Georg Glasl als Dozent mit viel Kreativität entgegenzuwirken. Die Konzerte seiner Zitherklasse mit der programmatisch ganz eigenen Mischung aus historischen und aktuellen Klängen gehörten immer zu den künstlerisch unkonventionellsten und innovativsten Veranstaltungen des Konservatoriums. Die daraus resultierende Aufmerksamkeit und der Respekt sowohl dem Instrument als auch den Studierenden gegenüber beförderte unser Selbstvertrauen. Wie es jedoch „draußen“, also jenseits der Geborgenheit der „Alma Mater“ Hochschule um die öffentliche Wahrnehmung der Zither bestellt war, steht wiederum auf einem anderen Blatt.

 

Gerade in den Neunzigerjahren wirkte die Lage zunehmend prekär, das Image und die Verbreitung des Instruments war auch unter uns Studenten ein häufiges Diskussionsthema.

Große Hoffnung machte in dieser Hinsicht die Reihe von Zitherfestivals, die damals von Georg Glasl aus dem Boden gestampft wurden. Gemeinsam mit anderen Kräften, denen die Zukunft des Instruments am Herzen lag, bot sich hier die Möglichkeit, einen kulturellen Wandel aktiv mitzugestalten. Jeder konnte sich mit Ideen und Vorschlägen einbringen. Auf einmal sah man sich in der Lage, Projekte zu verwirklichen, die man alleine niemals gestemmt hätte. Klar war eines: Wollte man ein Publikum über den engen Kreis von „Kennern und Liebhabern“ hinaus erreichen – und das war ein vorrangiges Ziel – mussten die Beiträge auf höchstem Niveau, möglichst innovativ und in einem professionellen Rahmen gestaltet werden, egal ob nun Studenten, Profis, Laienmusiker oder Kindergruppen beteiligt waren.

Um die gewaltige Bandbreite an Stilistiken, die auf der Zither möglich sind, sinnvoll präsentieren zu können, waren darüber hinaus thematische Schwerpunkte und konzeptuelle Denkweisen gefragt. Nur dadurch schien es möglich, dem ganzen Spektrum von Volks- und Unterhaltungsmusik bis hin zu Uraufführungen komprimiert an einem Wochenende gerecht zu werden. Alles sollte seinen Platz haben, nur eben nicht „ordentlich“ getrennt, sondern nach Themen strukturiert und mit einem roten Faden verbunden, der den sonst üblichen Ablauf von Festivalkonzerten mitunter heftig durchkreuzte und so manches Experiment beinhaltete. Das eröffnete neue Denkweisen, überraschte, beeindruckte und polarisierte – erregte aber in jedem Fall eine große öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei entwickelte sich das Festival auch zu einem Forum für verschiedene Spielarten und Persönlichkeiten, nicht zuletzt in den „Forum-Konzerten“, die von StudentInnen verschiedener Konservatorien gestaltet wurden. Eine große Zahl jüngerer Künstler hatte hier die Möglichkeit, ihr Können einmal außerhalb der üblichen

Klassenkonzerte zu präsentieren. Dabei kamen wir auch mit den Studierenden anderer Institute ins Gespräch und schlossen Freundschaften mit Gleichgesinnten.

 

Bei aller Geselligkeit war mir von Anfang an sympathisch, dass Georg Glasl das Zitherfestival nicht als Instrumenten-Treff konzipierte, wo an einem Wochenende jeder Interpret ein paar Töne von sich geben durfte, bis alle abgefrühstückt waren. Er legte Wert auf künstlerische Inhalte, die zeigten, dass die Zither zu mehr fähig ist als zur bloßen Erfüllung von Klischees. Da ich selbst Komponist bin, war für mich der Anteil Neuer Musik immer ein attraktiver und wichtiger Schwerpunkt. Bereits als Jungstudent konnte ich im Rahmen von Zither 2 (1997) ein eigenes Stück mit Elektronik aufführen. An den anderen Festivaltagen hörte ich zum ersten Mal Werke von Fredrik Schwenk oder das großformatige Bereshit von Peter Kiesewetter, also von Komponistenpersönlichkeiten, die mich auch später noch in vielerlei Hinsicht beeinflussten. Einschneidende Erlebnisse für meine künstlerische Entwicklung hielten auch die beiden folgenden Festivals bereit, speziell die Uraufführung meines ersten größeren Ensemblestücks „ALPenmusik“ bei Zither 3 (1999), sowie zwei Jahre später der erste Auftritt, den ich gemeinsam mit den „Gebrüder Teichmann“, einem Elektro-Duo aus Berlin, gestalten konnte (Zither 4, „Unter Tage“). Nach über zehn Jahren dauert diese Kollaboration heute noch an und hat sich inzwischen zu einer festen Formation entwickelt.

 

Gerade 1999 war das Medienecho enorm, und die Anwesenheit zahlreicher TV-, Radio- und Zeitungsjournalisten bestätigte den durchschlagenden Erfolg des Festivals. 2001 fand jenes umstrittene, ja fast schon legendäre Projekt statt, das Uraufführungen verschiedener Komponisten zum Thema „Der dritte Mann“ beinhaltete. Bekanntlich rief dieser Performance-Abend kontroverse und heftige Publikumsreaktionen hervor, bis hin zur lautstarken Unterbrechung des Konzerts. Bei uns jungen Mitwirkenden sorgte das für echte Aufregung – wir fühlten uns als Punker der Zitherszene! Aktionen, die im Rahmen von Neue-Musik-Veranstaltungen bestenfalls zu angenehmen Irritationen und Diskussionen geführt hätten, konnten innerhalb des Zitherfestivals noch echte Skandale hervorrufen.

 

Letztlich schuf das Festival eine Ausnahmesituation für jegliche Form von Musik und generierte zugleich eine neue Publikumsstruktur: Vom Volksmusik-Liebhaber bis zum Avantgarde-Fan saßen hier Menschen nebeneinander im Saal, die normalerweise selten denselben Weg in ein Konzert finden. Die Liebhaber des Traditionellen konnten sich hier für neue Klänge begeistern und auf der anderen Seite lernten eingefleischte Avantgarde-Fans die

Authentizität von Volksmusik zu schätzen. Dass es dabei im Publikum nicht immer einträchtig zuging, liegt auf der Hand. So mancher erwartete ein Zitherfestival – und bekam Kunst! Auch der ein oder andere Mitarbeiter des Festivals war irritiert angesichts solch heftiger Reaktionen. Viele mussten die Eindrücke erst einmal verdauen – kalt gelassen hat es jedoch niemanden, und langweilig wurde es auch nie!

 

Georg Glasl hingegen konnte nur selten etwas aus der Ruhe bringen. Immer wieder motivierte er die Teilnehmer zu Höchstleistungen, sprach nicht selten Mut zu und zweifelte ungern an der Durchführbarkeit auch noch so wagemutiger Ideen. Damals bekamen viele von uns Studenten auch erstmals eine Vorstellung davon, was es heißt, ein überregional orientiertes, in vielen Teilen unkonventionelles Event organisatorisch auf die Beine zu stellen, Konzepte zu entwickeln, künstlerische Inhalte mit einem roten Faden zu verbinden, Texte für Programmhefte und Presse zu entwerfen und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Viele haben für ihren späteren Musikberuf von dieser Erfahrung profitiert, und im Nachhinein entpuppte sich die Arbeit im Festival-Team als praxisorientierte „Zusatzausbildung“ über den regulären Lehrbetrieb hinaus.

 

Dass sich ein hohes künstlerisches Ziel mit Konsequenz und Überzeugung gegen viele Widerstände durchsetzen lässt, und dass man es dabei vielleicht nicht allen recht machen kann, war für mich und viele andere eine positive Erfahrung.

 

Leopold Hurt schrieb diesen Text anlässlich des letzten Zitherfestival im Jahr 2015, erschienen ist er erstmals im Magazin Zither, der Verbandszeitschrift des DZB

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